Worum geht es: Wer heute den Mount Everest, den höchsten Berg der Erde, besteigen möchte, braucht dafür weder besondere Kenntnisse noch eine herausragende Kondition. Ein voller Geldbeutel und die Bereitschaft, »über Leichen zu gehen«, genügen. Der für die Einheimischen heilige Berg ist zu einem Ort für einen pervertierten Massentourismus der Luxusklasse geworden. Mit fatalen Folgen für die Bewohner, die Bergsteiger und die Natur. Kenntnisreich und spannend beschreibt Oliver Schulz in seinem Buch die Entwicklung des Everest vom kolonialen Forschungsobjekt zum begehrten Tourismusziel.

Welche Folgen hat diese Entwicklung für die Menschen, die im Himalaja leben? Was bedeutet sie für diejenigen, die aus falsch verstandenem Ehrgeiz auf 8849 Meter Höhe geschleppt werden? Schulz erzählt vom Traum und Albtraum am höchsten Berg der Erde, vom Geschäft mit dem Höhenwahn, der beispielhaft für den Irrsinn des gesamten internationalen Alpinismus steht.

Wer ist der Autor: Oliver Schulz, geboren 1968, ist studierter Indologe, Tibetologe und Soziologe und arbeitet als Redakteur bei den „Lübecker Nachrichten“ sowie als freier Journalist. Er ist Autor der Sachbücher „Indien zu Fuß“ (DVA) und „Die Tibetlüge“ (vitolibro) und hat zahlreiche Artikel zur politischen Lage auf dem Subkontinent u. a. in Die Zeit, Zeit online, Spiegel, Welt und Media verfasst. Er lebt in Lübeck.

Warum ich das Buch empfehle: Worüber Oliver Schulz in diesem Buch schreibt, spricht und schreibt Reinhold Messner seit Jahren – also Altbekanntes. Man sollte sich trotzdem davon nicht täuschen lassen, das Buch ist gut geschrieben und lesenswert, und es kommen durchaus interessante Details zur Sprache.

Meine persönliche Meinung zum Thema: Warteschlange in der Todeszone – schockierten Bilder vom Gipfel des Mount Everest die Welt. Dort stehen Tag für Tag Menschen Schlange, um ein Foto von sich an der Spitze der Welt zu machen. Was ein herausragender und einzigartiger Moment sein sollte, ist mittlerweile ein simples Beispiel von Massentourismus. Zurück bleibt eine beeinträchtige Berglandschaft und viel Müll. Nicht nur im Himalaya sind Berge zu einer gewöhnlichen Tourismusattraktion geworden, auch in den Alpen hinterlassen jedes Jahr 150 Millionen Gäste mit über 500 Millionen Übernachtungen ihre Spuren.  

Die höchste Müllkippe der Welt: 8.850 Meter ragt der Mount Everest in den Himmel. Doch einem Problem unserer Zeit muss auch er sich trotz seiner Höhe und seiner Abgelegenheit stellen: der Umweltverschmutzung. Waren noch bis Mitte der 1980er Jahre gerade mal 150 Menschen auf dem Gipfel, explodierte ihre Zahl danach gewaltig. Mittlerweile sind es weit über 2.200 Wagemutige. Alle diese Gipfelstürmer hinterlassen bleibende Erinnerung: Müll. Insgesamt, so schätzt man, sind dabei im Laufe der Zeit mehr als 600 Tonnen Abfall zusammengekommen.

Kosten einer Everest-Expedition mit Veranstalter: Mit Sherpa – runde 50.000 $, mit westlichem Guide – runde 67.000 $, und die VIP-Expedition 2022 inklusive Helikopter im Stand-by-Modus und für Rundflüge 130.000 $ – und dann noch die Ausrüstung. Dafür bekommen sie heute den Everest-Gipfel oder auch den Tod! Und bei nicht erreichen des Gipfel verklagt man dann einfach den Veranstalter. Ein Absurdes Spiel mit dem Tod.

Alle Zeichnungen: cartulli – CCC Cuxhaven-Cartoon->Center

Was heute am Everest stattfindet ist ein Event (?). Es wird eine Piste vom Basislager bis zum Gipfel gebaut. Die kostet Millionen. Da arbeiten Hunderte Sherpas quasi als Straßenarbeiter. Wenn die Piste fertig ist, werden die Leute raufgeschoben und raufgezogen auf den Gipfel. Hauptsache, man hat ein hübsches Selfie zur Veröffentlichung. Für mich ganz schlimm, die Leute nehmen ihre Smartphones mit auf den Gipfel, um von dort zu telefonieren oder Selfies zu machen. Aber Posten können sie es dann viel zu oft nicht.

Ich beschäftige mich schon seit längerer Zeit mit dem Thema Mount Everest, Massentourismus usw., und war sehr gespannt auf das Buch von Oliver Schulz. Trotz einiger inhaltlicher Schwächen wurde ich nicht enttäuscht. Dem Autor ist ein unbedingt lesenswert Buch gelungen, denn es bietet eine interessante Reise durch die Everest Geschichte: Mallory & Irvine kommen dabei ebenso vor wie Hillary & Tenzing Norgay, Messner & Habeler, die von Krakauer (In eisigen Höhen) bereits toll beschriebene Katastrophe von 1996, das Unglück 2014 im Khumbu-Eisbruch oder die handfeste Auseinandersetzung zwischen Simone Moro, Ueli Steck und den Sherpas.

Ob es beim Höhenbergsteigen und insbesondere durch die vielen Expeditionen am Mount Everest noch Moral gibt. Die Frage kann auch Oliver Schulz, in seinem Buch „8849“ nicht abschließend beantworten. Warum auch? Jeder, der Berge besteigt und lesen kann, kennt das Risiko des Bergsteigens in extremer Höhe. Und jeder, der viel Geld dafür zahlt, die Logistik dafür übernommen zu bekommen, darf erwarten, dass genau dies auch getan wird. Niemand wird ernsthaft erwarten (dürfen), dass andere ihr Leben für einen selbst aufs Spiel setzen. Und genau das ist die Krux.

In der Gesamtheit gesehen ist es dem Autor gelungen, ein interessantes Buch zu verfassen. Wer sich für das Thema – Massentourismus, Tod und Ausbeutung am Mount Everest – interessiert sollte es mal gelesen haben. Ich persönlich hatte Spaß beim Lesen von „8849“, und so solltes es ja auch sein!.

Produktinformation

  • Herausgeber: ‎Westend; 1. Edition (25. April 2022)
  • Sprache: ‎Deutsch
  • Broschiert: ‎192 Seiten
  • ISBN-10: ‎3864893658
  • ISBN-13: ‎978-3864893650
  • Preis: 18,00 Euro