Mit insgesamt 4.750 Höhenmetern müssen die Fahrer ein riesiges Programm abspulen, ehe sie in Alpe d`Huez nach insgesamt 65 Tages-Kletterkilometern zweifelsohne total ausgepumpt über die Ziellinie rollen werden. Mit dem 2.642 Meter hoch gelegenen Col du Galibier und dem 2.067 Meter hohen Col de la Croix stellen sich zuvor zwei mächtige Berge in den Weg des Pelotons. (Zeiochnung: cartulli 07/2022 CCC Cuxhaven-Cartoon-Center – Die Storyfactory)

Heute geht es bei der Tour de France, auf der 12. Etappe, rauf nach Alpe d’Huez. Ich bin 2017 diese Strecke gelaufen. Hier, noch einmal mein Bericht. Viel Spaß

Alpe d’Huez, ein Ort mit vielen Emotionen. Die Straße dorthin ist ein aus 21 Serpentinen bestehendes Versprechen auf Anstrengung, Stress und Tränen, ein 13,8 Kilometer langer Kampf vom Dorf Le Bourg-d’Oisans hinauf auf 1850 Meter über dem Meeresspiegel.

So weit, so gut – ich wollte dann mal per Pedes, also in Laufschuhen, diese 21 Kehren rauf laufen. Die berühmte Aussage an Jan Ullrich im Hinterkopf „Quäl dich du Sau“. Eigentlich hätte mir das Streckenprofil schon den Mut nehmen sollen, aber ….. wenn man es nicht ausprobiert hat, weiß auch man nicht ob man es geschafft hätte.

Das Streckenprofil:

Etwa 1,5 km vom Zentrum von Le Bourg-d’Oisans entfernt beginnt der 13,8 km lange Anstieg auf einer Höhe von 760 m. Die Zielankunft liegt auf 1850 m. Daraus ergibt sich ein zu bewältigender Höhenunterschied von 1090 m und eine durchschnittliche Steigung von 7,9 % (!!). Die ersten Kilometer sind im Schnitt etwa 10 % steil. Im Mittelteil beträgt die Steigung rund 8 %. Der Schlussteil ist mit ca. 5,5 % verhältnismäßig flach (ha, ha,ha) Der steilste Kilometer ist der zehnte Kilometer mit durchschnittlich 11,5 % Steigung. Die steilsten Passagen befinden sich nach 3,5 km (14,8 %) und 7,5 km (14,7 %).

Es geht los! Ein wenig aufgeregt bin ich schon. Schaffe ich das? Aufgeben gibt keine Option!

Als ich an diesem Morgen dem Ortsausgang von Le Bourg-d’Oisans auf 723 Meter ü. N. N. verließ, war es noch kühl. Windschutz ist also angesagt. Ich bin ganz schön nervös, schaffe ich das, oder scheitere ich? Hinter dem Fluss La Romanche folgt nach der Brücke ein Kreisverkehr. Direkt danach, linker Hand liegt ein Parkplatz. Von hier geht es los. Meine Frau versucht mich noch von diesem verrückten Vorhaben abzubringen. Aber entschieden ist entschieden. Zur Vorsicht nehme ich mein Handy mit, falls ich doch unterwegs aussteigen möchte (hoffentlich nicht schon vor der ersten Kehre).

Kaum Zeit zum Durchatmen, nirgends
Es mag anspruchsvollere Berge, auch für Läufer, geben als Alpe d’Huez. Längere, steilere, schwierigere. Die Kombination aus Länge und Steigung aber ist es, die Alpe d’Huez aus macht. 13,8 Kilometer. 7,9 Prozent Steigung im Durchschnitt. 14,8 Prozent Steigung maximal. Kaum Zeit zum Durchatmen, nirgends. Schon gar nicht zu Beginn. Da steigt die Straße gleich mit 10,4 Prozent. Bedeutet: Auf 100 Meter Länge werden in waagerechter Richtung 10,40 Meter Höhe überwunden. Mir läuft es schon kalt den Rücken runter. Vielleicht habe ich mir doch etwas zu viel vorgenommen.

Also, auf geht’s die erste Kehre

Ich laufe, und laufe, und laufe ….Meine Handy-App sagt 9 Minuten 30 Sekunden für den Kilometer – so schnell? Hoffentlich geht das gut? Ich bin jetzt schon am Limit. War wohl doch zu schnell. Ich schalte zwei Gänge zurück. Jetzt schon, auf dem ersten Kilometer auf der Straße nach Alpe d’Huez, noch vor der ersten der 21 Kehren, die hier rückwärts gezählt werden bis zum Ziel. Während ich einen Schritt vor den Anderen setze, kommt es mir plötzlich in den Sinn: Wie peinlich wäre es jetzt aufzuhören?

2,5 Kilometer sind bewältigt! Die Sonne wärmt jetzt und weil die Straße ausnahmsweise nur mit 8,5 Prozent steigt, versuche ich meine Jacke auszuziehen. Dabei zerre ich mir irgendwie meine schon kaputte Schulter. Fein, denke ich, nun habe ich wenigstens noch anderswo einen Schmerz, auf den ich mich fokussieren kann.

Alpe-dHuez – France – wielrennen – cycling – radsport – cyclisme – Le Tour 2011 – Tour de France 19e etappe – Modane Valfréjus > Alpe-dHuez – sfeer illustratie bord virage bocht Peter Winnen – foto Wessel van Keuk/Marketa Navratilova/Cor Vos ©2011 – motard Dirk Honigs

Die Kehre 15 kommt in Sicht, andere Läufer habe ich bislang noch nicht gesehen. Warum auch, wer ist denn auch so blöd das zu tun, was ich hier mache.

Ich passiere Kehre 12 auf 1161 Metern. Tief  in mir schreit eine zornige Stimme. Stop, stehen bleiben, Aus! Was für eine dämliche Idee aber auch: L’Alpe d’Huez für Läufer. Meine Lunge ist gar nicht groß genug für all die Luft, die ich brauche. Ich laufe im niedrigsten Gang. Gleich bleibe ich stehen – bloß nicht.

Kehre 8 auf 1345 Metern. So würde sich eine Zahnpastatube fühlen, wäre sie lebendig: Man quetscht sie und drückt und denkt, es kommt nichts mehr – und dann kommt doch noch etwas aus einem heraus, gerade noch genügend. Mein Schritt ist ist schwerfällig (das Handy meint 12 Minuten pro Kilometer – so schnell?), die Straße ist hier 9,5 Prozent steil.

In der lang gezogenen Linkskurve wird die Straße flacher, die Oberschenkel brauchen nicht mehr mit voller Kraft zu arbeiten, Ein Moment des Durchatmens. Im Laufen versuche ich an meinen Energieriegel im Laufrucksack zu kommen. Er verspricht neuen Treibstoff: vier Gramm Eiweiß, 36 Gramm Kohlenhydrate, fünf Gramm Fett, zwei Gramm Ballaststoffe, 201 Kilokalorien in 56 Gramm Riegel. Ihn herunterzuwürgen bereitet Probleme. Als ob ich davon nicht schon genug hätte. Noch 4,5 Kilometer bis zum Ziel. Ich spüle mit Wasser aus meiner Trinkflasche hinterher. Die ist aber auch schon fast leer.

Das Ziel der Anstrengung ist erreicht Kehre 1, scharfe Rechtskurve. Willnichtmehrkannnichtmehr. Ein Stück die steile Straße hinauf steht am linken Rand, schwarze Schrift auf weißem Grund, ein Wegweiser: „Paradies Eden.“ Haha. Plötzlich lässt die Steigung nach, die Straße wird flacher. Halleluja oben. Vorbei an  Hotels, Chalets,  Bars, vorbei auch an Kehre 0, dann unter  einer Unterführung hindurch. Am letzten Kreisverkehr biege ich links ab, dann kann ich es sehen,  das Arrivé-Schild. Mein Ziel ist erreicht. Ich sehe das Auto und meine Frau. Ich war nie Glücklicher als jetzt.

Und da stehe ich nun dort oben in Alpe d’Huez und atme durch und blicke auf die schneebedeckten Gipfel in der Ferne und bin ein klein wenig stolz auf mich. Und ich denke: einmal Alpe d’Huez laufen war toll, extrem – aber sicher nicht noch einmal.

Naja, dioe Radrennfahrer der Tour de France-Etappe haben es da auch nicht viel besser – nach Col du Galibier, Col de la Croix du Fer und schließlich hinauf nach Alpe d’Huez.